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Visualisierung dynastischer Räume.
Das Beispiel der Grafen von Solms

Mit dem folgenden Beitrag möchte ich die Möglichkeiten relationaler Datenbank für die Erforschung der Sozialgeschichte des Adels im Kontext dynastischer Handlungsräume veranschaulichen. Mittels statischer und dynamischer Darstellungen einer relationalen Datenbank wird die Entfaltung des dynastischen Handlungsspielraums der Grafen von Solms visualisiert. Dieser dynastische Handlungsspielraum ergibt sich dabei durch die um die Grafschaft gelagerten Residenzen anderer Geschlechter und geistlichen Institutionen, zu denen durch Heirats- und Abschichtungspolitik eine Verbindung bestand.

Die Grafschaft Solms (in den Visualisierungen als rote Fläche dargestellt) lag zwischen den beiden Hegemonialmächten Hessen und Nassau in der Nähe der Reichstadt Wetzlar. Bis in das beginnende 15. Jahrhundert hinein war diese territoriale Lage für ihre Rolle als mindermächtiger Akteur bestimmend. Mit der Falkensteiner Erbschaft von 1418 änderte sich dies. Als eines von fünf Adelsgeschlechtern gelang den Grafen von Solms mit der Beerbung der Grafen von Falkenstein-Münzenberg ein territorialer Zugewinn, der den Herrschaftsbereich der Grafschaft bis in die königsnahe Wetterau hinein erweiterte. Inwieweit die Ausdehnung des beherrschten Territoriums mit dem Wachstum des dynastischen Handlungsraum der Grafen korrelierte, wird im Folgenden dazustellen sein.

Visualisation 1

Zunächst gilt es, die Ausgangslage der Grafschaft unmittelbar vor der Erbschaft mit all den Heiratsverbindungen, die die Grafen während des 14. Jahrhunderts schlossen, darzustellen. Hierbei zeigt sich, dass die Grafen von Solms nach Westen und Südwesten zum Oberrhein hin dynastische Verbindungen eingingen und ebenso weit in den Norden bis ins Münsterland, wo es zu der kurzzeitigen Linienbildung Solms-Ottenstein kam. Auf Grund der unterschiedlichen Kolorierung der Verbindungspunkte sticht heraus, dass die Ehepartner für die Töchter des Hauses nur aus einem sehr begrenzten Raum um die Grafschaft ausgewählt wurden (Ehen von Männern = Rot; Ehen von Frauen = Grün). Ein Blick in die Genealogien des Grafenhauses zeigt hierzu, dass diese Töchter überwiegend mit Partner aus dem Niederadel verheiratet wurden. Die Ehefrauen der regierenden Grafen von Solms wurden dahingegen meist von weiterer entfernten Geschlechtern ausgewählt, auch gehörte der größte Teil dieser Frauen dem Hochadel an. Die sozialen Unterschiede bei der Ehepartnerwahl von Grafen und Gräfinnen des Hauses manifestiert sich damit deutlich im dynastischen Raum. Hinsichtlich der Verbindungen zu den Domstiften (Verbindungspunkte in Blau) sticht zum einen heraus, dass die verschiedenen Linien des Hauses während des 14. Jahrhundert gleich fünf Domherrenstellen in Köln erwerben konnten (in Mainz etwa nur eine). Zum anderen, dass mit der Linienbildung im Norden auch sofort die Sphäre der Domstifte in Münster und Minden für das Grafenhaus erschlossen wurde. Durch die bereits thematisierte Falkensteiner Erbschaft von 1418, aber auch durch das Erlöschen der Linie Solms-Ottenstein wandelte sich der dynastische Raum des Grafenhauses Solms ab etwa 1418.


Visualisation 2

Während im 15. Jahrhundert die Verbindungen in den Norden gänzlich gekappt wurden, blieb der Rhein als wichtiger Kommunikationsraum innerhalb des römisch-deutschen Reichs für das Grafenhaus von großer Bedeutung. Weiterhin sorgten die Grafen von Solms durch Heiraten mit Geschlechtern, um das neu hinzugewonnene Territorium für eine Konsolidierung ihrer durch die Falkensteiner Erbschaft erlangten Herrschaft in der Wetterau. Die dynastischen Verbindungen des Grafenhauses wurden so ab ca. 1400 heterogener, sowohl bezüglich der geographischen als auch der sozialen Herkunft ihrer Heiratspartner. Fast alle Ehepartner (sowohl von Grafen als auch Gräfinnen) gehörten nun dem Hochadel an. Der nun entstandene dynastische Raum mit seiner Ausdehnung Richtung Westen blieb bis etwa in das Jahr 1475 recht konstant, danach trat das Grafenhaus in eine neue Phase dynastischer Beziehungen ein.

Der soziale Aufstieg gelang in dieser Zeit durch konstant hochadelige Konnubien, einen ökonomisch wie politischen erweiterten Handlungsspielraum und eine zunehmende Präsenz an Fürstenhöfen und Reichstagen. Das Ergebnis waren drei Heiratsverbindungen mit Geschlechtern die gänzlich außerhalb des bisherigen dynastischen Raums des Grafenhauses lagen. Die Ehen mit den Grafengeschlechtern Waldeck, Fürstenberg und Henneberg wurden allesamt über die Fürstenhöfe der Solmser Lehnsherren, der Landgrafen von Hessen und den Pfalzgrafen bei Rhein, arrangiert. In ihnen spiegelt sich die zunehmende Bedeutung des Grafenhauses Solms wider, gleichzeitig scheinen sie auch die von Jörg Peltzer gemachte Beobachtung „je höher der Rang, desto ferner der Blick“ für den nichtfürstlichen Hochadel zu bestätigen. Visualisiert man die dynastischen Räume der beiden Jahrhunderte gemeinsam, so wird die Entwicklung der Grafen von Solms besonders deutlich (14. Jh. = Blau / 15. Jh. = Rot). Der Vergleich offenbart das Wegfallen der Beziehung zu Geschlechtern des Nordens und ebenso eine stärkere Fokussierung auf den linksrheinischen Raum.


Visualisation 3

Die Verbindungen zu den Residenzen der angeheirateten Geschlechter, wie sie nun dargestellt wurden, sind Kontakte 1. Grades. Jedoch verfügte jede Dynastie über ihren eigenen dynastischen Raum, der auf ihrer persönlichen Heirats- und Abschichtunspolitik beruhte. Die räumliche Bedeutung einer Heiratsverbindung für eine Dynastie ist weitreichender zu bewerten, visualisiert man wiederum auch alle Verbindungen der angeheirateten Dynastien. Diese Kontakte 2. Grades zeigen, in welchen Regionen des Reichs ein Adelsgeschlecht mit seinem dynastischen Handlungsspielraum zu verorten war. Der Zugang zu Domkapitel etwa wurde meist durch Kooptation reguliert, die Heiratsverwandtschaft spielt dementsprechend eine bedeutende Rolle beim Eintritt in die Domkapitel. Durch die Visualisierung der Kontakte 2. Grades wird bestimmbar, inwieweit ein Geschlecht ein bestimmtes Domkapitel zu seinem dynastischen Raum zählen konnte.


Visualisation 4

Visualisiert man alle dynastischen Verbindungen von den Geschlechtern, mit denen die Grafen von Solms während des 15. Jahrhunderts Heiratsverbindungen eingingen, offenbart sich ein weitrechendes dynastisches Netzwerk des nichtfürstlichen Hochadels. Zwar mag dies zunächst recht unübersichtlich erscheinen, doch so sind auch hier einige Muster zu erkennen. Bei genauer Betrachtung kann man die dynastischen Räume einiger Dynastien identifizieren. Es sind jene Dynastien, die sich am Rand dieses Verbindungsnetzes befinden, im Fall des Grafenhauses Solms die Häuser Fürstenberg, Loon-Heinsberg, Henneberg, Waldeck und Virneburg. Die Fürstenberger etwa haben so gut wie gar keine Schnittmenge mit den anderen Geschlechtern dieser Vergleichsgruppe und auch die Henneberger agieren im Osten in einem völlig eigenem Raum.


Visualisation 5

Visualisiert man nur die Grafen von Solms mit diesen fernen Dynastien wird sichtbar, dass jeder dieser Dynastien in verschiedene Regionen des Reichs zu verorten war. Ebenso teilten sich die Dynastien nur wenige Verbindungspunkte.


Visualisation 6

Umgekehrt stellt es sich wiederum bei den nahen Heiratsverbindungen dar. Es ist kaum ein eigenständiger Handlungsraum erkennbar und die einzelnen Dynastien sind untereinander sehr viel stärker vernetzt. Nur punktuell schloss sie Verbindungen von außerhalb dieses Netzwerkes. Die Visualisierungen der Datenbanken belegen also, dass die Heiratsverbindungen der Grafen von Solms in zwei Kategorien geteilt werden können, in einen fernen Heiratskreis und einen nahen Heiratskreis. Wobei der nahe Heiratskreis sehr stark untereinander vernetzt war. Während der ferne Heiratskreis weniger über Eheschließungen verbunden war. Mit dem Domkapitel findet sich jedoch eine Institution, über die sich wiederum beide Heiratskreise miteinander teilten.


Visualisation 7

Visualisiert man nun nur die Verbindung der Dynastien zu den Domkapiteln wird deutlich, wie wichtig diese Sphäre zur Kultivierung der dynastischen Netzwerke des Hochadels waren, denn fast alle Geschlechter fanden sich dort wieder egal ob fern oder nah. Von den untersuchten Geschlechtern waren 12 der 15 in Domkapiteln vertreten, wiederum neun allein im Kölner Domkapitel.

Mit der Datenbank ist die Möglichkeit gegeben, die dynastischen Handlungsräume einzelner Geschlechter in Relation zu den sie umgebenden Dynastien auf einer großen Ebene darzustellen und diese Netzwerke erstmals sichtbar zu machen. Verschiedenste Filter ermöglichen es, die unterschiedlichen Verbindungstypen (Domkanonikate, Ehen der Männer etc.) herauszugreifen. Die Anzahl der zu stellenden bzw. zu beantwortenden Fragestellungen ist im Grunde grenzenlos.